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FRITZ-Segel [Segel Info]
Warum Yachten gegen den Wind segeln können
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An einem umströmten Segel entstehen Kräfte, die es einem Boot ermöglichen, sich schräg zum
Wind nach Luv saugen zu lassen.
Dass ein Boot vor dem Wind segeln kann, ist jedem Kind verständlich. Denn vor dem Wind treibt
auch ein Bündel Stroh. Das Segel setzt dem Wind einen Widerstand entgegen, eine Fläche, gegen die
er "drücken" kann, womit er das Boot vor sich herschiebt. Sehr bildhaft ausgedrückt.
Dass ein Boot höher als 90 Grad zum Wind segeln kann, hat mit verschiedenen Drücken zu tun. Auf
der Leeseite herrscht Unterdruck und auf der Luvseite Überdruck. Der Unterdruck kann bis zu
dreimal größer sein als der Überdruck. Das Segel wird nach Lee gesaugt (siehe Abbildung 1).
Beide Drücke wirken entlang des Segels in unterschiedliche Richtungen, lassen sich aber als eine
resultierende Kraft darstellen, die sich im Segeldruckpunkt konzentriert und genau senkrecht
zum scheinbaren Wind wirkt. Sie wird Auftrieb oder Quertrieb genannt. Gleichzeitig bietet das
Segel dem Wind aber einen Widerstand, der Wind versucht, es mit sich fortzureißen. Normalerweise
überwiegt der Auftrieb gegenüber dem Widerstand. Die resultierende Gesamtkraft "zieht" das
Segel leicht schräg nach hinten, vom scheinbaren Wind aus betrachtet (Abbildung 2). Diese Wirkung
kann nachgeprüft werden, indem bei einer Jolle Schwert und Ruder aus dem Wasser genommen werden.
Das Boot driftet quer zum Wind, segelt aber auch etwas in Kursrichtung, insgesamt in Richtung
der Gesamtkraft.
Grund: Die Gesamtkraft wirkt zwar, vom scheinbaren Wind aus betrachtet, leicht
schräg nach hinten, vom Boot aus betrachtet aber schräg nach vorn.
Sind dagegen Schwert oder Kiel und Ruder vorhanden, setzen sie zusammen mit dem Rumpf der quer
wirkenden Gesamtkraft einen Widerstand im Wasser entgegen. Das Boot kann nicht mehr quertreiben
und wandelt die Kraft in Vortrieb und Krängung um. Dabei macht die Vortriebskraft nur ein
Viertel bis ein Drittel der Gesamtkraft aus.
Gleichzeitig bilden Kiel und Ruder eine ähnliche Konfiguration wie ein Segel und erzeugen Auftrieb,
der die Geschwindigkeit steigert.
Bleibt die Frage, wodurch es am Segel zu den Druckunterschieden kommt. Nach dem Bernoulli-Prinzip
(Schweizer Mathematiker, 1700-1782) nimmt der Druck in der Luft mit zunehmender Geschwindigkeit
ab und umgekehrt. Auf der Leeseite strömt die Luft also schneller, auf der Luvseite langsamer.
Logische nächste Frage: Warum strömt sie unterschiedlich schnell? Zur Erklärung wird gern der
Vergleich mit der Flugzeugtragfläche bemüht, der dem einen oder anderen noch aus dem
Physikunterricht in der Schule geläufig ist. Eine Tragfläche ist oben gewölb und unten flach,
sie hat also eine Profildicke. Die Luft, die über die gewölbte Seite fließt hat einen längeren
Weg zurückzulegen als die, die über die ebene Seite strömt. Sie muss sich also beeilen - schneller
strömen-, um gleichzeitig mit der Unterseite an der Profilhinterkante anzukommen.
Das Gleiche soll angeblich für ein Segel gelten. So weit verständlich und plausibel - nur
leider nicht logisch.
Denn das Segelprofll hat keine Dicke. Ein durchschnittliches Dacron-Tuch ist etwa 0,3 Millimeter
dünn. Bei einer Segel Mittelbreite von angenommen drei Metern, was einem durchschnittlichen
Fahrten-Groß entspricht, ergibt sich ein kaum messbarer Wegunterschied zwischen Luv und Lee.
Und somit keine langsamere oder schnellere Umströmung, kein Druckunterschied, kein Vortrieb.
Außerdem kann ein Flugzeug auch auf Rücken fliegen, was nach dieser Theorie nicht möglich sein
dürfte, denn es würde nach unten gesogen.
Und dennoch vermag ein Segelboot zu kreuzen. In einem Satz ausgedrückt muss es richtig heißen:
Das Segel versucht, den aus seiner Richtung zu bringen.
Wind, also beschleunigte Luft, besitzt Trägheit (Masse mal Beschleunigung). Trifft die Luft nun
auf das Segel, will sie eigentlich in der alten Richtung weiterströmen, schafft das aber nicht,
da sie ja nicht durch das Segel hindurch kann. Sie wird zwangsweise abgelenkt. Nach Sir Isaac
Newtons drittem Bewegungsgesetz gehört zu jeder Aktion (Umlenkung) eine gleich große Reaktion
in Gegenrichtung, die hier eine Kraft auf die Fläche bedeutet - der Sog.
Die Luft wird durch den Anstellwinkel des Segels aus der Bahn gelenkt. Ergebnis: Auftrieb
Was aber hindert die Luft daran, einfach am Segel vorbei in der alten Richtung weiterzuströmen?
Eine Eigenschaft, die Seglern höchst willkommen ist: Viskosität. Damit ist eine gewisse Zähigkeit
gemeint, die am besten, wenn auch stark übertrieben, mit dickem Honig verglichen werden kann.
Umströmt dieser dicke Honig das angestellte Segel, wird er nicht nur von ihm umgelenkt, sondern
auch gebremst, denn selbst das glatteste Tuch verursacht Reibungswiderstand. Es bremst die
Honig-Schicht, die direkt an ihr anliegt, bis auf null ab, die darüber liegende etwas weniger
und so weiter bis zur ungebremsten Strömung. Die Strömung schmiegt oder klebt sich ans Segel.
Was immer noch nicht erklärt, warum die Luft in Lee beschleunigt und in Luv abgebremst wird.
Das besorgt der so genannte Anfahrwirbel. Im allerersten Augenblick des Dichtholens des Segels,
wenn sich das Boot noch nicht bewegt, passiert Folgendes: Die oben ums Segel herumfließende
Strömung wird auf ihrem Weg zum Achterliek durch die Reibung am Tuch immer weiter abgebremst
und gleichzeitig durch den Anstellwinkel aus ihrer Bahn gelenkt. Das mag sie nicht. Sie will
in ihre alte Richtung zurückkehren. Wie ein Sportwagen, bei dem in der Kurve auf die Bremse
getreten wird, schlittert die Luft aus der Bahn, reißt vorzeitig von der Leeseite des Segels
ab (Abbildung 3 a). An der verbleibenden Fläche, vom Abreißpunkt bis zum Achterliek, entsteht
ein Loch in der Luft. Das muss aufgefüllt werden, so wollen es die Naturgesetze.
Aber woher nehmen? Die Strömung von der Luvseite springt helfend ein. Der Honig in Luv versucht,
um das Achterliek herum auf die Leeseite zu gelangen, um das Loch aufzufüllen. Nur ist er zäh
und träge und schafft es zwar gerade so um die Ecke, bleibt aber stehen und bildet einen
Wirbel, den Anfahrwirbel. Er wird von der Strömung auf der Leeseite mitgerissen (Abbildung 3b)
und setzt damit ein Phänomen namens Zirkulation in Gang. Das Segel "merkt", dass die Leere
in Lee nicht durch Auffüllen um das Achterliek herum beseitigt werden kann. Also versucht es,
über die Vorderkante Luft, die eigentlich für die Luvseite gedacht war, abzuzweigen
(Abbildung 3c). Die Luft wird so schon um einiges vor dem Segel in zwei Ströme geteilt.
Nun muss man sich vorstellen, dass sich das Segel in einem Kanal befindet. Dieser wird durch
die äußeren Luftmassen gebildet. Der Strom, der über die Leeseite führt, wird wie durch eine
Düse gepresst, die das Segel und die Kanalwand bilden. Diese Düse beschleunigt die Luft auf
dem ersten Drittel des Segels so stark, dass daraus ein Unterdruck resultiert (Abbildung 3d).
Dieser schwächt sich durch die reibungsbedingte Geschwindigkeitsverminderung entlang des
Segels nach achtern wieder ab.
Gleichzeitig entsteht in Luv ein Überdruck, da die wenige Luft viel Platz hat, um sich zu
verteilen und dementsprechend langsamer strömt. Am Achterliek haben beide Strömungen im
Idealfall wieder dieselbe Geschwindigkeit, sodass die Luft das Segel sauber und
wirbelfrei umfließt.
Entscheidend für das Entstehen von differierenden Drücken am Segel und damit den Vortrieb
sind also nicht unterniedlich lange Wege. Sondern die Tatsache, dass mehr Luft über die
Leeseite als über die Luvseite des Segels geführt wird.
Lars Bolle
Diesen Artkiel stellen wir Ihnen mit freundlicher Genehmigung der YACHT zur Verfügung.
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